Streaming-Anbieter werden Privatsender verdrängen

  • Produzentenallianz schießt gegen RTL und ProSiebenSat.1
    "Streaming-Anbieter werden Privatsender verdrängen"


    Von den Privaten scheint Alexander Thies, Vorsitzender der Produzentenallianz, nicht mehr viel zu erwarten. Sie seien zufrieden mit den Stoffen, die "woanders nichts geworden sind". Auch sonst suchte der Lobbyverband zum Zehnjährigen nicht nur Harmonie.



    Es ist inzwischen Tradition, dass die Produzentenallianz am Eröffnungstag der Berlinale zum Deutschen Produzententag lädt, um dort ihren politischen und wirtschaftlichen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Da der Lobbyverband dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert, nutzte Alexander Thies, Vorstandsvorsitzender seit Gründung, die Gelegenheit für einen emotionalen Rückblick auf geschlagene Schlachten und errungene Etappensiege.


    Schon dabei fiel auf, dass in der Aufzählung vor allem die langwierigen Eckpunkte-Verhandlungen mit ARD und ZDF vorkamen. Bei den Privaten habe die Allianz in all den Jahren nichts Vergleichbares erreicht, gestand Thies ein. Ein Raunen ging durch die Menge der Produzenten, als ihr Spitzenvertreter sodann verkündete: "Wir sprechen uns klar für eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags aus." Die notwendige Strukturdebatte dürfe nicht auf dem Rücken des Programms ausgetragen werden. So richtig zog Thies gegen Ende der Veranstaltung vom Leder, als er den Privatsendern Innovationsverhinderung bescheinigte.


    Eigentlich sollte es auf dem Abschlusspanel des Produzententags um das Produzieren im Spannungsverhältnis zwischen linearem TV und On-Demand-Welt gehen. Der renommierte TV-Journalist und Produzent Stephan Lamby nahm dazu RBB-Intendantin Patricia Schlesinger, Amazon-Video-Deutschlandchef Christoph Schneider sowie den Gastgeber selbst ins Kreuzverhör. Während Schlesinger und Schneider sich noch über Budgets und Produktionsbedingungen behakten, hatte Thies den großen Verlierer schon ausgemacht: "Die Streaming-Anbieter werden die deutschen Privatsender verdrängen, nicht so sehr die Öffentlich-Rechtlichen."


    Auf die erstaunte Nachfrage Lambys, ob man das als Position des Vorsitzenden an die Agenturen weitergeben könne, legte Thies nach: "Wir haben das nicht im Vorstand abgestimmt, aber ich halte diese Verdrängung für unausweichlich. Die Privaten haben den Nachteil ihres Geschäftsmodells, Werbeunterbrechungen werden immer mehr zum Hindernis. Warum sollte ich mir einen Film mit Unterbrechung anschauen, wenn ich ihn anderswo ohne kriege?" Aus seinen eigenen Gesprächen mit Vertretern der großen Privatsender wisse er zudem, dass sie Innovation im Rahmen ihres Geschäftsmodells nicht mehr für nötig hielten. "Sie haben sich von nennenswerten Investitionen in Programmqualität zurückgezogen und geben sich zufrieden damit, die Stoffe zu bekommen, die woanders nichts geworden sind", so Thies. Manche Reaktion im Saal ließ erahnen, dass nicht alle 248 Mitgliedsunternehmen der Allianz – von denen etliche auch für Privatsender produzieren – die Äußerung glücklich fanden.


    "Die Privaten haben sich von nennenswerten Investitionen in Programmqualität zurückgezogen und geben sich zufrieden damit, die Stoffe zu bekommen, die woanders nichts geworden sind"


    Alexander Thies, Vorstandsvorsitzender der Produzentenallianz



    Unterdessen hatte sich zwischen der Intendantin und dem Amazon-Manager fast schon Partnerschaftsstimmung breit gemacht. Schlesinger gab zu Protokoll, dass weder ihre 18-jährige Tochter noch sie selbst vorm linearen TV zu finden seien, und plädierte für neue Kooperationsmodelle à la "Babylon Berlin" – "warum nicht auch mit Amazon?" Schneider wiederum betonte, jährlich siebenstellige Summen für Lizenzinhalte von ARD und ZDF auszugeben, mit denen er insbesondere jüngere Zielgruppen auf öffentlich-rechtliche Formate aufmerksam mache.


    Den wirtschaftlichen Stellenwert der Produktionsbranche hob in ihrer Keynote Beatrice Kramm hervor – in Personalunion Chefin der Produktionsfirma Polyphon ("Traumschiff", "Stubbe") und Präsidentin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin. Angesichts von 13 Milliarden Euro Leistungsbeitrag zur deutschen Volkswirtschaft ("Damit sind wir im Mittelfeld") und 160.000 Erwerbstätigen ("Das entspricht der Einwohnerzahl von Potsdam") verkaufe man sich noch zu oft unter Wert. "Unser Beitrag als Kulturbotschafter im Ausland wird zunehmend gewürdigt, unser Beitrag für die Wirtschaft im Inland jedoch nicht", kritisierte Kramm.


    Dabei habe sich die Produktionswirtschaft unterm Radar zu einem wesentlichen Einflussfaktor für andere Branchen entwickelt. "Auf jeden Beschäftigten bei uns kommen 2,1 Beschäftigte bei Caterern, Juristen, Autovermietern und anderen Dienstleistern, die wir beauftragen", so Kramm. "Außerdem sind wir einer der wichtigsten Trendgeber für den Megatrend der digitalen Transformation." Als IHK-Präsidentin wisse sie aus vielen leidvollen Gesprächen mit Bauunternehmern oder Händlern, dass die wenigsten Branchen schon so weit digitalisiert seien wie die Film- und Fernsehwirtschaft!


    Zwei besonders prägende Vertreter der Gattung Produzent wurden feierlich zu Ehrenmitgliedern der Produzentenallianz ernannt: Ex-UFA-CEO Wolf Bauer, der im Herbst 2017 die Geschäftsführung verlassen hatte, und Ex-ndF-Chef Hansjörg Füting, der ein Jahr zuvor an seine Nachfolger übergeben hatte. Beide, so Alexander Thies, hätten vor zehn Jahren erheblich dazu beigetragen, dass "aus dem Funken ein Feuer wurde". Bauer, der durchaus wiederholt als Kritiker der Allianz aufgefallen war, versprach in seiner Dankesrede, dem Verband "weiter im Nacken" zu sitzen. "Der künftige globale Wettbewerb im High-End-Segment", so der langjährige UFA-Boss, "wird nicht nur künstlerisch-inhaltlich geführt – das können wir leisten – sondern auch wirtschaftlich und strukturpolitisch. Dafür sind wir in Deutschland noch nicht ausreichend aufgestellt."


    Quelle: dwdl.de

  • Nach Abgesang auf die Privatsender "Indiskutabel": Nico Hofmann greift Produzentenallianz an


    Der Vorsitzende der Deutschen Produzentenallianz, Alexander Thies, äußerte sich beim Produzententag in Berlin sehr abfällig über das Privatfernsehen. Verbandsmitglied und UFA-CEO Nico Hofmann kontert im DWDL.de-Gespräch mit scharfer Kritik: Arrogant, verleumderisch und anachronistisch seien diese Bemerkungen.


    Herr Hofmann, „Streaming-Anbieter werden Privatsender verdrängen“. Mit der Aussage hat Alexander Thies, Vorsitzender der Produzentenallianz, am Donnerstag in Berlin überrascht. Teilen Sie diese Endzeitstimmung?


    Definitiv nicht. Mich hat die Aussage von Alexander Thies schockiert, anders kann ich das gar nicht sagen. Wir reden hier vom Vorsitzenden eines bedeutenden Verbandes. Man stelle sich vor, dies hätte der amerikanische Produzentenverband gegenüber den Networks geäußert, wäre das mit seiner Abdankung geendet.


    Welchen Sinn macht es dann für die UFA noch Teil der Deutschen Produzentenallianz zu sein? Ihr Kollege Wolf Bauer ist ja auch schon länger ein Kritiker des Verbandes…


    Wolf Bauer und ich haben in den vergangenen Monaten sehr konstruktive Gespräche mit der Produzentenallianz geführt. Meine Gespräche waren allerdings fast ausschließlich mit Christoph Palmer, mit dem mich schon die nachhaltige Stärkung des Produktionsstandortes Baden-Württemberg verbindet. Ich weiß, dass er mit Vernunft und Bedacht handelt. Aber das entschuldigt nicht die Engleisung des Verbandsvorsitzenden von Donnerstag, die ich offen gestanden für indiskutabel halte.




    Sie wirken wirklich angegriffen von den Äußerungen.


    Die Aussage hat mich geärgert, weil sie zu einer Zeit kommt, in der sowohl Frank Hoffmann und Bernd Reichart für die Mediengruppe RTL Deutschland als auch Wolfgang Link für die ProSiebenSat.1 TV Deutschland nachhaltig in deutsche Fiction investieren und das mit Budgets die so hoch sind wie noch nie in der Geschichte der jeweiligen Sendergruppen. Da wurde eine Energie entfacht, die zum Teil auch schon beim Publikum angekommen ist, wenn man sich die Fiction-Offensive bei RTL anschaut. Und viele andere Projekte sind in der Produktion, auch bei den DailySoaps kommt wieder Bewegung rein. Die deutsche Produktionslandschaft profitiert derzeit davon, dass beide private Sendergruppen erkannt haben, dass sie erheblich mehr in eigene Auftragsproduktionen investieren müssen.
    "Es gibt eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen an die neuen Teilnehmern im Markt und dem, was sie bislang beitragen."


    Wurde aber auch Zeit, könnte man sagen.


    Ja, auch aus meinen Gesprächen mit ProSiebenSat.1 habe ich den vergangenen Monaten aber das Gefühl mitgenommen, dass es einen großen Appetit auf Inhalte gibt. Wir erleben derzeit bei allen Sendern die Erkenntnis, dass eigene, exklusive Programme dem Einkauf von Lizenzware vorzuziehen ist. Deswegen ist die Aussage von Alexander Thies zum jetzigen Zeitpunkt, wo sich alle derart bemühen - und das weit über das, was derzeit schon im Programm sichtbar ist - eine komplette Verkennung der Energie im Markt. Seine Aussagen folgen einfachen Formeln, die schnellen Applaus versprechen, aber eigentlich arrogant dem Markt gegenüber sind.


    Aber auch Sie haben ja wie andere deutsche Produzenten vor einigen Jahren auch auf die ersten Aufträge der neuen Streaming-Dienste gehofft…


    Wir arbeiten ja bei „Deutschland 86“ auch gut mit Amazon zusammen, aber es gibt eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen an die neuen Teilnehmern im Markt und dem, was sie bislang beitragen. Das lässt sich ja anhand der Auftragsvolumnia vergleichen. Die UFA macht nach wie vor über 90 Prozent des Umsatzes mit den klassischen Partnern und ich sehe auch nicht, dass wir da in absehbarer Zeit zu einem 60:40-Verhältnis kommen werden.


    Thies bescheinigte den Privatsendern bei der Veranstaltung in Berlin Innovationsverhinderung. Produzieren die Privatsender also vielleicht viel, aber nicht viel Innovatives?


    Wir haben ja alle unsere Lektionen gelernt. Die UFA mit „Deutschland 83“. Das Projekt hätte es ohne Frank Hoffmann und RTL nicht gegeben. Die Fortsetzung gibt es dank Amazon, aber involviert waren hier Christoph Schneider, ebenso Frank Hoffmann und meine Wenigkeit. Ich sehe in den vielfältigen neuen Produktions- und Distributionsmodellen, die wir gerade erleben, keine Innovationslosigkeit. Inhaltlich haben wir und RTL aus der Serie viel gelernt. Aus den gewonnenen Erkenntnissen ist bei Philipp Steffens die aktuelle Fiction-Offensive entstanden. Ich bin da wahnsinnig stolz z.B. auf „Saint Maik“ und den von uns entdeckten David Donskoy. Ich wage an dieser Stelle auch mal die Prognose, dass er die nächsten vier Jahre nur noch zwischen Berlin und Los Angeles pendelt und die Rollen seines Lebens spielt. Hier haben wir zusammen mit RTL ein junges neues Gesicht entdeckt. Wie kommt ein Verbandschef dazu, in diesen Zeiten gebotene Langeweile zu beklagen und Endzeitstimmung auszurufen? Seine Aussagen über die Streaming-Anbieter, die die Privatsender verdrängen ist arrogant.


    Inwiefern?


    Das von zig Millionen Fernsehhaushalten gewohnte und frei empfangbare Fernsehprogramm durch diverse zusätzlich zu bezahlende Dienste ersetzt zu sehen, ist doch schon eine Annahme die an der wirtschaftlichen Realität vorbeigeht. Das ist die Arroganz derer, die genug Geld haben und sich alle neuen Dienste leisten können. Dennoch: Nehmen wir an, es würde zu der von Alexander Thies erwarteten Verdrängung kommen, würde das zehntausende Arbeitsplätze in der deutschen Produktionslandschaft betreffen, die derzeit entgegen seines Eindrucks gut zu tun hat. Wir reden über einen existierenden Markt mit Milliardenumsatz. Wie kann der Vorsitzende der Deutschen Produzentenallianz seinen eigenen Mitgliedern den Schaden wünschen? Das ist verleumderisch.


    "In einer Welt der vielfältig ausgestalteten Koproduktionen ist es anachronistisch unnötige Grenzen hochzuziehen."


    Nun reden bei der Berlinale alle gerne über Prestige-Projekte. Vielleicht fußt die Erwartungshaltung auf der Fokussierung auf die besonderen Großprojekte?


    Wir freuen uns auch über Großprojekte, egal ob mit neuen oder bekannten Partnern. Ich bin gerade erst aus Los Angeles zurückgekommen, wo wir viele Gespräche über das Serienprojekt mit Michael Haneke geführt haben. Da sprechen wir von einem Projekt mit Ausnahme-Budget. Darüber wird dann viel gesprochen, aber das ist auch für die UFA nicht das Tagesgeschäft und für viele Mitglieder der Produzentenallianz gibt es auch ein wesentlich wichtigeres Brot & Butter-Geschäft.


    Welche Konsequenzen ziehen Sie jetzt?


    Ich habe Christoph Palmer im Namen der UFA, immerhin eine der größten Firmen in der Produzentenallianz, eine eMail geschrieben und mitgeteilt, dass er mit meinem Gegenwind rechnen muss. Mich ärgert, dass wir gerade eine so differenzierte und komplexe Entwicklung für die Kreativen im Fernsehgeschäft erleben, die pauschal verdrängt wird. Es gibt „Babylon Berlin“ von Sky und ARD, wir haben „Deutschland 86“ mit Amazon und Free-TV-Auswertung. „4 Blocks“, eine meiner Lieblingsserien, die erst bei TNT Serie lief und dann bei ZDFneo. Und wir selbst haben gerade erst eine Produktion mit HBO Europe, TNT Serie und Mobra Film angekündigt. In einer Welt der vielfältig ausgestalteten Koproduktionen ist es anachronistisch unnötige Grenzen hochzuziehen.


    Quelle: dwdl.de

  • Massive Diskussion in der Produzentenallianz Schadensbegrenzung: Mitglieder gegen den Verbandschef


    Dass Alexander Thies, Vorsitzender der Produzentenallianz, die Verdrängung der Privatsender ankündigte, sorgt für Aufregung unter den Verbandsmitgliedern. Viele distanzieren sich, einige wenige stimmen zu. DWDL.de hat sich unter den Produzenten umgehört.


    von Torsten Zarges , Berlin
    18.02.2018 - 19:45 Uhr
    Auf den Empfängen und Branchendinners der Berlinale kursiert in diesen Tagen eine Scherzfrage, die an sich gar nicht lustig ist: Was haben Alexander Thies und Thomas Ebeling gemeinsam? Die Antwort: eine unbedachte Äußerung, die massiven Schaden anrichtet. Die eigentliche Pointe liegt darin, dass der Vorsitzende der Produzentenallianz es nicht mögen dürfte, mit dem scheidenden Privatfernsehmanager verglichen zu werden, nachdem er gerade den großen Abgesang aufs deutsche Privatfernsehen angestimmt hat (DWDL.de berichtete).


    Bei etlichen Mitgliedern seines Verbands hat Thies sich keine Freunde gemacht, indem er auf der Bühne des Deutschen Produzententags die baldige Verdrängung von RTL, ProSiebenSat.1 & Co. durch die Streaming-Anbieter prophezeite. Nach UFA-CEO Nico Hofmann, der die Äußerungen im DWDL.de-Interview als indiskutabel, arrogant und verleumderisch zurückgewiesen hatte, rücken nun immer mehr Produzenten von ihrem Spitzenvertreter ab.


    "Ich schätze Alexander Thies sehr, aber da ist wohl ein Gaul mit ihm durchgegangen", so Allianzmitglied Hermann Joha, der mit seiner Firma action concept vor allem fürs Privatfernsehen produziert. "Was er sagt, stimmt einfach nicht. Die nackten Zahlen sprechen dagegen. Allein RTL hat gerade eine Reihe neuer Serien gestartet, die grob überschlagen jeweils vier bis fünf Millionen Euro pro Staffel kosten dürften. Außerdem sollte der Vorsitzende der Produzentenallianz eigentlich wissen, dass Serien für Streaming-Plattformen und Serien für private Free-TV-Sender zwei verschiedene Welten sind – viel zu unterschiedlich, um einander verdrängen zu können."


    Hofmann habe Recht, Thies Unrecht, befindet auch Michael Souvignier, Chef von Zeitsprung Pictures. Privatfernsehen werde es noch lange geben, nicht zuletzt aufgrund seiner immer noch stattlichen Reichweiten. Einen Verdrängungsmechanismus, so Souvignier, werde es zunächst einmal innerhalb der Streaming-Welt unter den verschiedenen Plattformen geben. "In keinster Weise überlegt oder tiefergehend betrachtet" findet ITV-Studios-Chefin Christiane Ruff das Thies-Statement. "Sollte es sich um ein Statement der Produzentenallianz handeln – da war ich an der Meinungsbildung nicht beteiligt und teile diese in keiner Hinsicht", betont Talpa-Germany-Chef Karsten Roeder. "Wohl vom eigenen Geschmack beeindruckt, hat Herr Thies hier eine 360-Grad-Abwertung abgeliefert. Damit respektiert er uns, unsere Auftraggeber und deren Publikum nicht."


    Genau hier liegt für viele Mitgliedsunternehmen der Knackpunkt: Spricht ein Verbandsvorsitzender vermeintlich für die ganze Zunft eine solche Negativprognose aus, könnte dies potenziell geschäftsschädigend wirken. "Ich sehe die Aussage von Alexander Thies als Einzelmeinung und somit natürlich nicht repräsentativ für die Produzentenlandschaft", unterstreicht denn auch Sony-Pictures-Chefin Astrid Quentell. "Lineare Sender, sowohl öffentlich-rechtlich als auch privat, sind nach wie vor die wichtigsten Auftraggeber, mit denen wir auch weiterhin innovative und tolle Programme verwirklichen werden. Die Streaming-Dienste ergänzen das Spektrum und bieten eben zusätzliche Möglichkeiten."


    Polyphon-Chefin Beatrice Kramm, die selbst auf dem Produzententag gesprochen hatte, stößt ins gleiche Horn: "Wir sind sehr froh, dass es die privaten Sender gibt. RTL investiert in großem Umfang in deutsches Programm. Wir reden dabei nicht nur von deutscher Fiction, sondern auch von Docutainment, Shows und praktisch allen anderen Programmfarben. Aber auch ProSiebenSat.1 verstärkt zunehmend seine Anstrengungen." Für deutsche Produzenten seien die privaten Sender wichtige und verlässliche Geschäftspartner, die den Markt stärkten und erweiterten.


    Für den Sektionsvorstand Entertainment der Produzentenallianz werden Thies' Äußerungen am Montag zum Thema einer eigenen Konferenz. Axel Kühn, Geschäftsführer von Tresor TV und stellvertretender Sektionsvorsitzender, hat Thies nach eigenem Bekunden "immer als diplomatisch und beeindruckend eloquent kennengelernt. Dass ausgerechnet er sich in derart unglückliche Aussagen verrennt, hat mich sehr überrascht. Ich kann es mir eigentlich nur mit 'jugendlichem Übermut' erklären. Die Zeiten von 'Guter Sender, schlechter Sender' haben wir doch schon seit einer gefühlten Ewigkeit hinter uns gelassen, weshalb mir diese Diskussion als unzeitgemäß, unnötig und in Teilen auch schädlich erscheint. In Zeiten sich ändernder Sehgewohnheiten ist eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Sendern und Produzenten im Ringen um die Gunst des Zuschauers gefragt. Und mein Eindruck ist, dass die Sender das genauso sehen – ganz egal, ob privat oder öffentlich-rechtlich."


    "Meine Meinung und Erfahrung mit den privaten Sender-Kollegen spiegelt diese Aussage von Alexander Thies in keiner Weise wider", urteilt Edda Kraft, Geschäftsführerin von Saxonia Entertainment. "Viele Mitglieder werden sich den klaren Äußerungen von Nico Hofmann anschließen – vielleicht nicht ganz so emotional und öffentlich. Konsequenzen in der Zusammenarbeit wird es – außer vielleicht für Alexander Thies – keine haben." Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit werde nicht durch die Aussage eines Einzelnen gestört, so Kraft.


    Studio-Hamburg-CEO Johannes Züll legt sein Augenmerk darauf, dass Thies die Äußerungen als "seine Privatmeinung" gekennzeichnet habe. "Die privaten, werbefinanzierten Sender sind natürlich Treiber von Wachstum und Innovation in der deutschen Produktionslandschaft", so Züll. "Dies gilt seit langem vor allem für die seriellen Formate am Vorabend, Entertainment und Dokutainment, gilt aber nun auch für die Fiktion in der Primetime. Die Mediengruppe RTL hat als erste private Gruppe wiedererkannt, wie wichtig deutsche Fiktion im Hauptabend für einen Sender ist, ProSiebenSat.1 zieht gerade nach." Der Produktionslandschaft in Deutschland werde es langfristig nur gut gehen, solange es ihren Kunden gut gehe. Züll weiter: "Daher müssen wir ein Interesse daran haben, dass sie alle auch eine non-lineare Zukunft haben. Diese zu gestalten, muss Aufgabe einer breiten Diskussion, mutiger Ansätze der Marktteilnehmer und veränderter Ansichten in der Medienpolitik sein."


    Sehr differenziert fällt die Reaktion von Christian Franckenstein, CEO der Bavaria Film, aus. "Inhaltlich kann diese Aussage natürlich in keiner Weise stehen bleiben. Sie ist schlichtweg unzutreffend", sagt Franckenstein – verteidigt Thies jedoch zugleich für die Umstände, die möglicherweise dazu führten. An jenem Morgen sei der Vorsitzende "aus privaten Gründen einem enormen Stress ausgesetzt gewesen", weiß Franckenstein. "Er hat trotzdem seine Pflicht als Vorsitzender unseres Verbandes vollständig erfüllt. Dabei hat er fast den ganzen Vormittag als 'Alleinunterhalter' bestritten. Ehrlich gesagt, an der Stelle kritisiere ich unser eigenes Format – das war insgesamt keine gute Dramaturgie." Er könne sich vorstellen, dass Thies bei deutlicher Überziehung des geplanten Ablaufs im Talk an der Stelle der zitierten Aussage einfach die Konzentration gefehlt habe.


    Franckenstein, seit Gründung der Produzentenallianz Mitglied im Vorstand, verweist darauf, dass man unter der Führung von Thies und Geschäftsführer Christoph Palmer "gerade mit den öffentlich-rechtlichen Sendern gute und finanziell nachweislich wirkende Verbesserungen für die Produzenten" erreicht habe. Bei den Privatsendern stelle sich die gesetzliche Grundlage völlig anders dar. "Während die öffentlich-rechtlichen Sender aufgrund rundfunkstaatsvertraglicher Regelungen angehalten sind, mit den Produzenten zu angemessenen Regelungen zu kommen, gibt es für die Privatsender keine derartigen Vorgaben", so Franckenstein. "Sowohl die Mediengruppe RTL als auch ProSiebenSat.1 ziehen es bisher vor, mit Produzenten auf individueller projektbezogener Basis zu arbeiten. Dies ist ein anderer Weg, aber dieser Weg muss im Ergebnis für die Produzenten deswegen kein schlechter sein." Er selbst habe früher als MME-Moviement-CEO "stets faire und sehr ausgewogene Bedingungen" verhandeln können. Als Bavaria-CEO freue er sich heute zwar über neue Kunden wie etwa Sky und Sonar bei "Das Boot" oder die Telekom und Amazon Prime Frankreich bei "Germanized". Das ändere aber nichts an der "enormen Bedeutung der Privatsender für den deutschen Produktionsmarkt". Deren aktuelle Volumina, so Franckenstein, "steigen und haben absolut eine ganz andere Flughöhe als die der neu eintretenden Wettbewerber".


    Franckensteins Fazit für die Produktionswirtschaft ist ein ziemlich positives: "Das Zusammenwirken zwischen hoher, stabiler, mit Abstand führender absoluter Programmbeauftragung der öffentlich-rechtlichen Sender, derzeit wieder steigender Produktionsbeauftragung der Privatsender sowie den zunehmenden Eigenproduktionen neuer Marktteilnehmer bringt unseren heimatlichen produzentischen Markt gerade richtig in Bewegung. Wir sind insgesamt gut beraten, mit dieser Situation verantwortungsbewusst umzugehen, keine Arroganz entstehen zu lassen, mit unseren Forderungen berechenbar zu bleiben und stets für alle Beteiligten ein verlässlicher Partner zu sein."


    DWDL.de traf auch ein paar Mitglieder der Produzentenallianz an, die sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht näher äußern wollten. Darunter Constantin-Film-Vorstand Oliver Berben, der es für angebracht hält, "solche Diskussionen erst mal innerhalb der Allianz zu führen und nicht in der Öffentlichkeit. Alles andere schadet der Gemeinschaft der Produzenten." Ebenso gibt es ein paar Stimmen, die Thies' Verdrängungsthese mehr oder weniger zustimmen. "Klar ist, dass RTL und ProSiebenSat.1 es nicht leicht haben, zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und den Streaming- bzw. den Pay-TV-Sendern in Zukunft nicht zerrieben zu werden", findet Odeon-Film-Vorstand Mischa Hofmann. "Es ist sehr schwer, innovativ zu sein, wenn man nicht horizontal erzählen kann. Das hat Alexander Thies etwas aggressiv formuliert. Dass gerade RTL alles versucht, muss man anerkennen."


    "Ich teile die Einschätzung von Alexander Thies, dass das erfreuliche Engagement der neuen Player besonders den Privaten zusetzt, die nach einer Phase der Vernachlässigung auf der Suche nach ihrem Fiction-Profil sind", sagt Dreamtool-Entertainment-Chef Stefan Raiser. Fährt dann freilich fort: "Komplett falsch liegt Thies, wenn er meint, die Privaten würden nicht in Qualität investieren und begnügten sich mit Resteverwertung. Ich selbst erlebe Sat.1 zurzeit so fokussiert und leidenschaftlich wie noch nie, seit ich in diesem Geschäft bin. Bei unserem Dreiteiler 'Circus Krone' mit 'Ku'damm'-Regisseur Sven Bohse sprechen wir über ein zweistelliges Millionenbudget. Das Projekt wurde originär für Sat.1 entwickelt und dort kannte man von Beginn an nur eine Maxime: Qualität." Dennoch plädiert Raiser für Gelassenheit: "Ein Vorsitzender darf, nein, muss steile Thesen setzen und Diskussionen in Gang bringen. Unterwürfige Phrasendrescher gibt es in dieser Branche schon genug."


    Und was sagt Alexander Thies selbst zu der massiven Diskussion, die er mit seinen Äußerungen angezettelt hat? Bislang noch nichts – aber nach DWDL.de-Informationen will er spätestens am Montag eine schriftliche Stellungnahme an seine Mitglieder und die Branchenöffentlichkeit versenden.



    Quelle: dwdl.de