"Wir sollten HDR statt UHD in den Mittelpunkt rücken"

  • "Wir sollten HDR statt UHD in den Mittelpunkt rücken"


    Interview mit Ernst Feiler, Director Technology UFA


    Die UFA will bei der TV-Produktion mehrere Arbeitsschritte in die Cloud verlagern. Am Rande der NAB Show gerät Ernst Feiler, Director Technology bei der UFA, ins Schwärmen über die neuen Möglichkeiten und erklärt, warum UHD im TV-Bereich gar nicht so wichtig ist, HDR hingegen schon.


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    Herr Feiler, die UFA setzt auf eine neue Partnerschaft mit Microsoft, um künftig mehrere Arbeitsschritte in die Cloud zu verlagern. Was ist daran so revolutionär?


    Um das zu verstehen, muss ich ausholen: Es gab im Fernsehgeschäft immer drei grundsätzlich verschiedene Arbeitsschritte, die jeweils von unterschiedlichen Experten verantwortet wurden: Produktion, Distribution und Archivierung. All diese waren völlig isoliert betrachtete Bereiche.


    Und was hat sich verändert?


    Was die Produktion betrifft, so ist Zelluloid tot. Wir sind digital geworden. Als nächstes wird es Veränderungen bei der Distribution – also beim Broadcasting – geben. Spätestens mit Ultra High Definition, kurz UHD, wird ein neues Zeitalter anbrechen. Genau wie beim Zelluloid wird sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren technisch hier sehr viel verändern, man kann also schon mal den Countdown zählen. Außerdem wird es bei der Archivierung große Fortschritte geben – auch diese wird in Kürze IT- bzw. IP-basiert sein, wie z.B. in der Azure-Cloud von Microsoft. Tapes oder andere Zwischenträger werden dann nicht mehr erforderlich. Damit ist zum ersten Mal die Voraussetzung geschaffen, dass alle drei Schritte, also Produktion, Distribution und Archivierung, digital synchronisiert werden können. Das spart viele Zwischenschritte und auch viele Kosten.


    Aber ihre Fantasie endet an dieser Stelle noch nicht, entnehme ich ihrer Begeisterung für diese neue Lösung.


    Richtig. Das Ganze fängt dann erst an, richtig Spaß zu machen, wenn z.B. auch noch Kameras direkt in die Cloud streamen können. Dann habe ich die Files also ohne Zwischenschritte direkt dort, wo ich sie haben möchte. Das wäre ideal. Es wird zwar noch ein bisschen dauern, aber das ist die richtige Richtung. Wir sehen bei der NAB Show, dass die Branche sich in ihren Bemühungen genau dorthin bewegt.


    Nun ist die Digitalisierung an sich ja nicht neu, aber bislang war das oft noch Kraut und Rüben. Jeder ist das Thema auf seine Art und Weise angegangen…


    Es war ein Horror, da man noch kein zentrales System hatte. Was haben wir uns mit der Transcodierung von Inhalten aufgehalten. In der Cloud ist die Codierung von Content ein Leichtes. Da spielen Formate keine Rolle mehr, da die Cloud flexibel ist. Mit UHD kommt jetzt allerdings etwas ganz Anderes auf den Tisch: das Thema Proxys, also komprimierte Dateien. Da es sich bei UHD um sehr große Files handelt, wird es schwierig, diese Datenmengen 1:1 vom Filmset in die Cloud zu bringen. Mit Proxys lässt sich dagegen viel einfacher arbeiten, zum Beispiel im Schnitt. Am Ende wird es einen zentralen kollaborativen Workflow geben. Das ist exakt das, was der Markt auch braucht.


    Produziert die UFA denn schon in UHD? Vermutlich jetzt „Deutschland 86“ für Amazon, nehme ich an. Die können es ja auch nutzen dann…


    Wir führen bereits Gespräche mit mehreren Partnern, darunter auch RTL und ZDF. Aber natürlich gibt es auch Anforderungen neuer Partner wie z.B. Amazon oder Netflix. Noch ist das alles eine Frage der gemeinsamen Standards, die bei der NAB Show diskutiert werden.


    Konkret geht es also um die Frage einer Standardisierung von UHD mit High Dynamic Range (HDR)?


    In vielen deutschen Wohnzimmern macht UHD eigentlich keinen Sinn, weil die Auflösung aus der Couch-Perspektive keinen wirklichen Mehrwert bietet. Der Mehrwert liegt in der High Dynamic Range (HDR) - also im Vergleich zu UHD nicht in einer größeren Anzahl von Pixeln wie bei UHD, sondern kontrastreicheren Pixeln, die für eine viel größere Bildqualität sorgen,


    Die Verwirrung um UHD ist wirklich knifflig momentan. Und gefährlich, weil Konsumenten verunsichert werden. Wie einst um „HD ready“.


    Das ist sogar sehr gefährlich, weil Erwartungen enttäuscht werden können. Wenn man z.B. Fußball in UHD schaut, hat man nur einen begrenzten Mehrwert. Ein Fußballspiel dagegen in HDR zu sehen, hat einen deutlichen Mehrwert. Es gibt allerdings noch gar keinen Ü-Wagen, der UHD und HDR überhaupt übertragen kann. Das geht bislang nur live on tape. Die NAB Show und ihre Aussteller haben gezeigt, wie sich diese Herausforderung meistern lässt. Ich würde mich freuen, wenn wir uns nicht so sehr mit UHD aufhalten, sondern HDR in den Mittelpunkt rücken.


    UHD mit HDR bringt Broadcasting an seine Grenzen. Die linearen Sender können das ja noch gar nicht anbieten. Bislang bieten das in erster Linie SVoD-Angebote…


    Natürlich ist die Realisierung von UHD über OTT, also IP-Streaming, einfacher. Allerdings bieten die Sender Programme ja bereits schon über ihre Mediatheken an und fast jeder Sender verfügt inzwischen über Apps, um das Programm entweder live oder auf Abruf zu verfolgen. Wenn in UHD produziert wurde, warum sollten nicht auch die Sender solche Programme über Apps ausliefern?


    Das wäre pragmatisch gedacht. Aber der klassische Rundfunk müsste sich damit eingestehen, dass er technisch nicht mehr leisten kann, was über IP-Streaming schon heute möglich ist.


    Eine wichtige Frage, die man sich stellen muss: Für welchen Inhalt ist UHD überhaupt gut? UHD ist kein neues HD. Es gibt ganz viele Sendungen und Formate, die brauchen auch die nächsten zehn Jahre kein UHD. Deswegen ist UHD aus meinem Blickwinkel ein Premium-Segment und nicht jeder muss S-Klasse fahren. Insofern stellt sich die Frage: Wer hat etwas von der S-Klasse? Das wird zum einen für hochwertige fiktionale Formate von Interesse sein. Zum anderen führen wir auch schon Gespräche mit Sendern über Samstagabendshows, die live on tape oder live to live in UHD produziert werden sollen.


    Interessant.


    Mit HDR schaffen wir noch einmal einen emotionalen wie erzählerischen Mehrwert. HDR ist nichts anderes als die Abschaffung der technischen Limitation, die aus den letzten 60-70 Jahren Fernseh- und Filmgeschichte gewachsen ist. Mit HDR kommen wir in die Nähe dessen, was das menschliche Auge wirklich sieht, was eine viel größere emotionale Nähe zu unseren Protagonisten schafft. Der Zuschauer hat dann sprichwörtlich keinen Fernseher mehr, sondern vielmehr ein „Fenster“, durch das er das Geschehen realitätsnah wahrnimmt. Diese Emotionalität ist der Hammer. Doch nicht jedes Format ist dafür passend.


    Sie haben sich für Microsoft entschieden. Gibt es in dem Feld einen Wettbewerb bei dem Sie aus mehreren möglichen Partnern wählen konnten oder war allein Microsoft in der Lage, zu bieten, was sie brauchen?


    Es gibt drei große Cloud-Anbieter: Google, Amazon und Microsoft. Aus UFA/Bertelsmann-Perspektive war das eine einfache Antwort. Bertelsmann ist Partner von Microsoft, es gibt seit langem sehr produktive Beziehungen. Hinzu kommt, dass man alle rechtlichen Fragen, die sich in diesem Bereich natürlich auch stellen, mit Microsoft sehr konstruktiv löst. Es ist sehr beeindruckend, mit welchem Pragmatismus und welcher Bodenständigkeit man dort mit komplexen Technologiethemen aus dem Medienbereich umgeht und wie schnell man Probleme löst. Das ist die Zusammenarbeit, die man sich mit solch einem großen Konzern wünscht.


    Teil der Zusammenarbeit sind mit Interlake und Nexxt.tv auch zwei mittelständische Dienstleister…


    Das ist Microsoft-Strategie. Microsoft arbeitet ausschließlich über sogenannte Channel-Partner. Das sind überwiegend kleine Firmen, die die Kundenbedürfnisse maßgeschneidert erfüllen können. Man braucht diese Channel-Partner, die individuell auf die Workflows und Bedürfnisse eingehen können. Die meisten Produktionsfirmen sind technisch nicht ganz so gut aufgestellt.


    Harte Worte.


    Aber es ist so. Die UFA ist schließlich eine der wenigen Produktionshäuser, die sich eine eigene Technologie-Abteilung leistet. Ich kenne ehrlich gesagt sonst keine andere. Für Produzenten war Technologie einfach nie ein Thema, da es nie ausschlaggebend für die Beauftragung eines Programms war. Hier war immer das kreative Know-How entscheidend. Das hat sich mit der Digitalisierung der Prozesse grundlegend gewandelt, auch weil sich Geschäftsmodelle wandeln.


    Aber die UFA will ja jetzt nicht selbst ins VoD-Geschäft einsteigen oder? Weil diese Möglichkeit in ihrer Zusammenarbeit mit Microsoft so betont wird.


    Als UFA haben wir bereits einen großen Rechte-Pool. Ein digitales Archiv besteht bereits seit acht Jahren. Dieses umfasst 25.000 Folgen Telenovelas und Dailys. In Deutschland haben wir zwar nicht die Rechte daran, dafür aber in 198 anderen Ländern. Wenn ich jetzt eine Cloud habe, die mir ermöglicht, in Echtzeit meine deutsche Telenovela in Brasilien mit portugiesischen Untertiteln zur Verfügung zu stellen, dann bin ich mir sicher, dass unsere Inhalte noch viel reisen werden. Die Bereitstellungskosten sind durch die Cloud drastisch gesunken. Und es gibt sogar nicht nur die Möglichkeit eine Folge zu sehen, sondern man kann sich darüber hinaus auch alle Szenen mit seinem Lieblingsdarsteller zusammenstellen lassen – also eine Art Playlist für Video, individuell zusammengestellt, auf der Basis von über 25.000 Assets. Das sind die Ideen, die wir momentan mit Microsoft entwickeln.


    Also eine deutlich intensivere Nutzung von Meta-Daten als bislang?


    Genau. Wenn man bedenkt, dass der komplette Videobereich noch im Zeitalter der CD stehen geblieben ist, ist das eigentlich dramatisch. Da ist man im Audio-Bereich viel weiter. Alles, was z.B. iTunes, Spotify und all die Playlisten bieten, gibt es im Videobereich noch nicht. Hier schlummert großes Potenzial. Unser digitaler Workflow liefert außerdem sehr viele Metadaten, von denen wir auch inhaltlich sehr viel lernen können, so zum Beispiel welche Darsteller, Handlungsstränge, Locations am meisten gesehen werden. Daraus lassen sich künftig wichtige Rückschlüsse für unser eigenes Storytelling ziehen - das ist ein noch völlig unbekannter Bereich.


    Was war für Sie bei der NAB Show darüber hinaus im Fokus?


    Neben der Cloud und dem HDR werden wir das Projekt „Gateway to Infinity“ mit dem Fraunhofer Institut vorstellen. Da haben wir rein aus technischer Sicht etwas gemacht, wo der Film vor 120 Jahren hin wollte. Er wollte keine 2D-Representation der Wirklichkeit darstellen, sondern die Realität abbilden. Und zusammen mit dem Fraunhofer Institut arbeiten wir nun daran. Wir befinden uns zwar noch in einem frühen Stadium, aber daraus kann sich eine neue Erzählform entwickeln, die alles andere in den Schatten stellt.


    Ist Virtual Reality also nicht nur ein Hype-Thema wie einst 3D?


    Dazu müsste man erst einmal den Begriff VR definieren. Ich rede nicht über 360 Grad-Videos und am Ende auch nicht über eine geschlossene Brille. Ich rede eigentlich über Mixed Reality. Die einzige Technologie, die in diese Richtung geht, kommt von Microsoft mit den HoloLens.


    Könnte man zusammenfassend sagen: Fernsehen bzw. Fernsehproduktion wird grenzenloser?


    So sieht es aus. Es fallen Grenzen in Produktions- und Distributionsabläufen, aber auch geografische Grenzen, weil sich dadurch international viel einfacher agieren lässt. Für uns Geschichtenerzähler brechen großartige Zeiten an, weil die Technik nahtloser funktioniert und damit der Fokus viel stärker auf die Kreativität gelegt werden kann. Die Zeiten waren nie besser.


    Herr Feiler, herzlichen Dank für das Gespräch.


    Quelle: dwdl.de